Schuld und Strafe

Ein Gastbeitrag von Holger Hennig für Peira – Gesellschaft für politisches Wagnis

Berlin, 28.05.2014 - Wenn wir Piraten auf unsere eigenen Veröffentlichungen hören, werden wir immer wieder ein Wort finden. Es heißt „entkriminalisieren“. Wir reden über Drogen und Filesharing, davon, dass Menschen kriminalisiert werden, die nichts Schlimmes tun. Für mich ein Grund, da auch noch ein Stück weiter zu denken: Warum strafen wir als Gesellschaft und bringt es irgendwas?

Die meisten Pädagogen haben sich heute von dem Prinzip der Strafe abgewendet. Konsequenz und Selbstverantwortung, das sind die Mittel, mit denen man viel mehr erreicht. Wenn aber das Prinzip Strafe keine pädagogische Rechtfertigung hat, welche Rechtfertigung gibt es denn dann für Strafen?
Kurzer Abstecher bei Hegel. In dessen Rechtsphilosophie heißt es sinngemäß, dass durch Verbrechen das Recht verletzt wird, und durch die Strafe diese Verletzung quasi bereinigt wird. Das klingt ja ganz nett und es ist noch immer ein extrem wichtiger Pfeiler der philosophischen Strafrechtsbegründung überhaupt. Aber mal ehrlich, das ist doch nicht haltbar, oder? Das würde ja heißen, dass es irgendwo in der hegelianischen Wolke eine Entität namens Recht gibt, die aus vielen Wunden blutet, und immer, wenn dann ein Verbrecher bestraft wird, dann schließt sich eine der Wunden. Was für ein metaphysischer Blödsinn.

Alle anderen Argumente – Strafen schrecken ab, Strafen bessern die Menschen – sind eigentlich schon lange empirisch widerlegt. Wer wirklich noch daran glaubt, dass Menschen aus Gefängnissen geläutert herauskommen, wird auch noch an den Osterhasen glauben. Und das mit der Abschreckung, das ist so eine Sache. Schon mal wegen der Angst vor Strafe auf einer Strecke langsam gefahren, auf der man sicher ist, dass man nicht geblitzt wird? Was keiner weiß, macht doch auch niemanden heiß, oder?

Bei Gewaltdelikten, bei Triebtaten, da ist mit Abschreckung doch eh Ende, oder? Wieso gibt es so viele Morde in Texas? In einem Staat, in dem es die Todesstrafe gibt und sie auch regelmäßig angewendet wird? Weil Abschreckung so gut funktioniert? Und was ist mit all den Menschen, die aus einem Trieb heraus missbrauchen oder vergewaltigen. Das ist doch alles strafrechtlich abgedeckt. Und die Aufklärungsquote bei Tötungsdelikten ist hoch, jenseits der neunzig Prozent. Dann dürfte es doch solche Verbrechen gar nicht mehr geben, oder?

Warum halten wir also an der Strafe fest?
Wir haben da ein tradiert-religiöses Motiv, die Frage von Schuld. Das knüpft an den christlichen Sündenbegriff an. Beides ist rein metaphysisch. Es gibt keine Schuld, die jemand aufhäuft, es gibt kein Sündenregister, nach dem irgendwer beurteilt wird, meine Güte, wir leben nach der Aufklärung. Und dieser Schuldbegriff funktioniert ohne Metaphysik, ohne absurde Worttricksereien nicht. Er betrachtet nur die Vergangenheit und transportiert die Taten der Vergangenheit in die Zukunft. Wie soll das denn gehen? Was hat die Vergangenheit eines Menschen mit seiner Zukunft zu tun?
Nein, es gibt zwei Motive, die eine Gesellschaft strafen lässt. Das erste und stärkste ist die Rache. Da hat jemand etwas Schlimmes getan, dafür wollen wir ihn am liebsten Lynchen. Ist das rational erklärbar? Fragt einen Psychologen.

Bestrafung durch den Staat ist institutionalisierte Rache. Der Staat rächt sich anstelle derer, die betroffen sind. Rache ist aber kein Motiv, das uns antreiben sollte. Rache macht die Tür auf für eine Gewaltspirale, und das ist vermutlich der Hauptgrund, warum unsere Vorfahren mal mit einer Gerichtsbarkeit überhaupt angefangen haben. Man wollte aus der Rachespirale heraus.
Das zweite Motiv ist Macht. Ein Staat, der sich erhalten will, braucht einen Machtvorsprung. Besonders dann, wenn eigentlich alle Macht vom Volke ausgehen soll. Man muss nicht weit schauen, bis man die staatliche Machtausübung sieht, die sich speziell gegen die richtet, die dem Staat unbequem sind. Strafe ist Einschüchterung, Strafe macht Angst, Angst macht regierbar.

Man merkt, ich stehe dem Prinzip Schuld und Strafe eher kritisch gegenüber. Aber gibt es noch andere Ansätze? Ist es nicht schon immer so, dass man Verbrecher bestraft hat? Es kommt auf die Kultur an. Bei den Römern gab es das Strafprinzip durchaus, nicht umsonst hatten die Liktoren Rutenbündel mit Beilen drin. Schaut man hingegen in die nordische Rechtsprechung – natürlich nur für freigeborene Männer, aber irgendwas ist ja immer – dann ging es da um Entschädigung. Ein durchaus sinnvolles Prinzip. Wenn einer dem anderen ein Auge ausstach, musste er dafür sorgen, dass derjenige finanziell so gut klar kam wie vorher. Es gab Blutgeld, das bezahlt werden musste und wenn Leute es übertrieben haben – ja, natürlich nach damaligen Verhältnissen – dann wurden Leute verbannt. Nicht als Strafe, sondern als Selbstschutz. Auch Selbstschutz ist ein hervorragendes Prinzip, viel intelligenter als Strafe.
Auch mittelalterliche Strafen wie Brandmarken und Pranger gehören zu den Selbstschutzmaßnahmen. Riss man einem Gesellen den Ohrring aus und zeichnete ihn damit als Schlitzohr, so wusste man, wo man mit dem Menschen dran war. Nein, ist auch nicht so richtig human, aber es ist begründet, was Strafe eben nicht ist.

Auf den Prinzipien Selbstschutz und Wiedergutmachung könnte man ein Rechtsystem aufbauen, das besser wirkt und nebenbei wahrscheinlich sogar noch preiswerter wäre. Man kann drei Kategorien aufstellen. Verbrechen mit menschlichem Opfer, Verbrechen mit juristischer Person als Opfer, Verbrechen ohne Opfer. Letzteres zuerst: Verbrechen ohne Opfer sind Quatsch. Alles Entkriminalisieren und zwar sofort.
Was ist mit Verbrechen an juristischen Personen? Und was ist nun mit Gewalt? Mit Beleidigungen, Verletzungen, Vergewaltigung oder Mord? Auf diese Fragen geht der Autor in seinem Gastbeitrag auf der Website von Peira ein.

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