Globaler Misserfolg statt „Global Management“? -Warum 80 % der Auslandsprojekte scheitern?

von Barbara Wietasch

Globalisierung hat viele Gesichter: Deutsche investieren in China, Russen kaufen westliche Unternehmen, arabische Hotelketten expandieren nach Europa, europäische Organisationen forcieren das Outsourcing in Schwellenländer. Die Wirtschaftswelt des 21. Jahrhunderts wächst immer enger zusammen. Auf den Flughäfen und in den Meeting-Räumen rund um den Globus begegnen sich Geschäftsleute, die ähnliche Anzüge tragen, ähnliche Rollkoffer hinter sich herziehen. Ein flüchtiger Beobachter könnte meinen, ein arabischer, ein indischer und ein deutscher Manager, die nebeneinander ihre Laptops aufklappen, unterschieden sich – außer im Aussehen – kaum. Doch dieser Schein trügt.

80 Prozent aller Auslandsengagements scheitern, so eine Studie der Leuphana Universität Lüneburg. Nur eines von fünf Projekten bringt demnach den gewünschten Erfolg. Woran liegt das? Zwei Erlebnisse aus meiner Beratungspraxis:

Globalisierung konkret – 3 Beispiele
Beispiel 1: Ein Baukonzern westeuropäischer Herkunft engagiert sich in Südosteuropa. Bei der Rekrutierung von Personal für Niederlassungen in den neuen Partnerländern setzt das Unternehmen ganz selbstverständlich auf Human Resources-Konzepte und -Instrumente, die sich in der westlichen Welt bewährt haben. Als der Konzern in Russland Persönlichkeitstest zur Ermittlung der besten Kandidaten für Führungspositionen einsetzen will, stoßen die Verantwortlichen auf erbitterten Widerstand. Die Mitarbeiter wollen sich nicht aushorchen lassen! Schließlich haben sie lange genug unter einer kommunistischen Diktatur und ihren Übergriffen gelitten.

Beispiel 2: Beim Bau einer Autobahn in Ungarn geht ein österreichisches Unternehmen ein Joint Venture mit einer französischen Firma ein. Der österreichische Projektleiter wird vor Stellenantritt von auslandserfahrenen Kollegen gewarnt, bei vertraulichen Informationen zu berücksichtigen, dass seine französischen Partner deutsch sprächen. Die Geschäftssprache in Ungarn ist Englisch. Als das Projekt zu Ende ist, verabschiedet sich die französische Seite tatsächlich in perfektem Deutsch. Vorher ist diesen Partnern keine deutsche Silbe über die Lippen gekommen.

Der Eisberg-Faktor oder: Das Wichtigste bleibt unsichtbar
In der internationalen Zusammenarbeit ist es wie beim Eisberg: Das Wesentliche bleibt unter der Wasseroberfläche. Dort liegen Werte und Einstellungen, Ängste und Unsicherheiten, unausgesprochene Erwartungen und bislang erprobtes und bewährtes Erfahrungswissen, das unser Denken und Handeln steuert und nicht offen thematisiert wird. Und so ist die Irritation bei einer Kollision dieser verborgenen Werthaltungen umso größer. Es gibt keine globale Businesskultur, auch wenn die Besprechungsräume in Moskau, Stockholm, Istanbul oder Shanghai ähnlich möbliert und die Teilnehmer darin ähnlich gekleidet sind. Nicht zuletzt an diesem Missverständnis scheiterte die „Welt-AG“, die sich der frühere Daimler-CEO Jürgen Schrempp einst erträumte, als er den schwäbischen Konzern mit dem US-Autobauer Chrysler und dem japanischen Mitsubishi-Konzern verschmelzen wollte.

Wer aus der Tatsache, dass sein Partner in Shanghai die gleichen Designermarken bevorzugt und das gleiche iPhone zückt, schlussfolgert „Alles wie zu Hause“, tappt in eine „Ähnlichkeitsfalle“. Das ist umso gefährlicher, als wir in Stresssituationen – etwa unter Erfolgsdruck in einer fremden Umgebung – erst recht auf bewährte Verhaltensmuster setzen. Nun ist es nicht so, dass das Wissen über die kulturellen Unterschiede verschiedener Nationalitäten an den Entscheidungsträgern in den Unternehmen gänzlich vorbeigegangen ist. Nicht selten werden diese Unterschiede jedoch auf Sitten und Gebräuche reduziert: In Japan überreicht man Visitenkarten mit beiden Händen, lächelt Meinungsunterschiede weg und muss auf den Besuch von Karaoke-Bars gefasst sein. In den USA nennt man sich rasch beim Vornamen, doch der Boss bleibt der Boss. Kenntnisse dieser Art kann sich jeder rasch anlesen, schließlich gibt es für alle relevanten Regionen inzwischen den passenden „Manager-Knigge“. Damit soll das Verdienst solcher Bände nicht kleingeredet werden: Es ist absolut empfehlenswert zu wissen, wie „man“ sich anderswo benimmt. Nur hilft alles Visitenkartenwissen nicht weiter, wenn sich Konflikte aus dem japanischen Senioritätsprinzip bei der Besetzung von Positionen ergeben oder aus der amerikanischen Irritation angesichts der deutschen Vorliebe für Spitzentechnologie – wo der US-Automarkt doch Komfort, Dosenhalter und den guten Deal beim Autohändler verlangt.

„Die sind eben noch nicht so weit, die Chinesen“?
Knigge-Wissen allein reicht also nicht aus, um im globalen Wettbewerb zu bestehen. Hinzu kommt, dass sich die Machtzentren der Weltwirtschaft langsam, aber sicher verschieben. Und damit verschiebt sich auch die Art und Weise, wie man erfolgreich miteinander Geschäfte machen kann. Das ist noch nicht in allen Köpfen angekommen. In einem Workshop für Mitarbeiter eines großen Automobilzulieferers geht es um die Zusammenarbeit mit China. Nachdem wir alle möglichen Probleme gesammelt haben – nicht eingehaltene Zusagen, Missverständnisse, Verzögerungen, und, und, und – seufzt einer der Beteiligten schließlich resigniert: „Ja, die Chinesen sind halt noch nicht so weit!“ „Wo sollen die denn hin?“, frage ich. – „Ja, eben … weniger umständlich … .“ „Mehr Klartext“, wünscht sich ein anderer, „Effizienz“ ein dritter. Auf meinen Einwurf, warum die Chinesen sich so verändern sollten, stutzen die Teilnehmer. Ratlosigkeit malt sich auf den Gesichtern ab, als sich die Erkenntnis durchsetzt, dass 1,3 Milliarden Chinesen auf dem Weg zur weltweit führenden Wirtschaftsmacht dem Westen wohl kaum den Gefallen tun werden, so zu werden, wie wir sie gerne hätten. Vom „Powershift in der Weltökonomie“ spricht die Asien-erfahrene Beraterin Hanne Seelmann-Holzmann.

Global Management als „Tanz mit den Eisbergen“
Interkulturelle Unterschiede werden in vielen Chefetagen offenbar immer noch als Luxusproblem betrachtet, dem man keine besondere Aufmerksamkeit schenken muss. Sie gelten als nachrangige „weiche Faktoren“. Doch Geschäfte werden von Menschen und mit Menschen gemacht. Und wenn die Akteure auf internationalen Bühnen kein gemeinsames Verständnis und damit keine tragfähige Basis finden, wenn sich Missverständnisse häufen und Konflikte eskalieren, stimmen irgendwann auch die harten Faktoren, die Fakten und Zahlen, nicht mehr.

Dabei hilft im ersten Schritt schon das Bewusstsein, dass jeder Mensch sein eigener Eisberg ist, mit wahrnehmbaren Verhaltensweisen über der Wasseroberfläche einerseits und unsichtbaren Fähigkeiten, Werten, Einstellungen, Identitäten und Zugehörigkeiten andererseits. Bei jeder Begegnung besteht daher die Gefahr, dass die Eisberge unter der Oberfläche zusammenstoßen. Je fremder eine andere Kultur ist, je unterschiedlicher die Weltsicht ist, desto weniger ahnt man vom Eisberg unter dem Wasser. Und je weniger man ahnt, desto trügerischer sind vermeintlich „ähnliche“ Verhaltensweisen, das Repertoire an Insignien und Ritualen einer globalen Businesswelt. Damit wächst die Gefahr einer Kollision.

Vorbeugen kann man (Werte-)Kollisionen, wenn man früh genug einen Blick unter die Wasseroberfläche wagt, sich also intensiv mit der fremden Kultur beschäftigt und die eigenen Werte in Relation dazu reflektiert. Und wer möchte, dass Menschen unterschiedlicher Kulturen erfolgreich miteinander arbeiten, muss tatsächlich Eisberge „zum Tanzen“ bringen. Das bedeutet: Mitarbeiter jeder Kultur sollten sich bewusst sein, nach welchem Rhythmus sie tanzen – welche Werte und Einstellungen sie teilen. Und sie sollten bereit sein, den Rhythmus der Kollegen anderer Kulturen kennenzulernen und gelegentlich ein paar Takte mitzutanzen. Wenn ein General Manager das schafft, kann multikulturelle Zusammenarbeit erfolgreich und eine Bereicherung für alle sein.

Literatur: Barbara Wietasch, Global Management: ein Tanz mit den Eisbergen, Wien Linde Verlag 2012, 232 S., 24,90 €
Das Buch liefert anhand von zahlreichen Beispielen, Best Practice-Fällen und Experteninterviews konkrete Hilfestellungen für den internationalen Businessalltag.

Die Autorin: Barbara Wietasch ist international erfahrene Managerin und Geschäftsführerin von Wietasch & Partner, Personal- und Organisationsentwicklerin, Leadership Trainerin und Business Coach. Mehr unter www.internationaldynamics.de und www.tanz-mit-den-eisbergen.com.

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