Vor 5 Jahren: Dr. Ulrich Bach gestorben – Pfarrer, Lehrer, Diakoniker, Mahner, Warner, Menschenfreund
Pressetext verfasst von Helmut Jacob am Fr, 2014-05-23 15:06.„‚Jeder Mensch gilt’ – das war das Lebensmotto von Pfarrer Dr. Ulrich Bach. Vor drei Wochen, am 8. März, verstarb der scharfsichtige Analytiker des tiefen Risses, der oftmals Menschen mit Behinderungen von der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ausschließt, der Liebhaber der „bunten Gemeinde Gottes“, der Bibelinterpret, der die biblischen Texte gleichermaßen für Behinderte und Nichtbehinderte las.“
So Bischof Dr. Wolfgang Huber 2009 als Ratspräsident der Evangelischen Kirche von Westfalen zur Würdigung von Ulrich Bach anläßlich seines Todes am 8. März des gleichen Jahres.
Das Thema Behinderung hat ihn, der selbst an Polio erkrankt auf einen Rollstuhl angewiesen war, nicht nur theologisch, sondern auch in der täglichen Praxis gefordert. Er war Seelsorger in verschiedenen Häusern der damaligen Orthopädischen Anstalten Volmarstein (heute Evangelische Stiftung) bei Hagen, sondern wurde im täglichen Umgang mit jungen und älteren körperlich und geistig Behinderten mit den verschiedensten Problemen konfrontiert. Erst Ende der 80er Jahre erfaßte er das wahre Ausmaß an Gewalt und psychischer Zerstörung vieler solcher Schülerinnen, denen er 1964 Konfirmandenunterricht erteilte. Die geballte Konfrontation seiner Konfirmanden mit seinem Versagen damals ließ ihn nicht mehr los. Im Rahmen seiner Verabschiedung las er aus seinem Buch „Ohne die Schwächsten ist die Kirche nicht ganz. Bausteine einer Theologie nach Hadamar“, Seite 87, Neukirchen 2006:
http://gewalt-im-jhh.de/Grobe_Unwahrheit_-_ESV-Leiter_/Bach_Buchauszug_M...
In diesem Kapitel geht Bach auf die Gewaltexzesse während dieser Zeit ein und konfrontiert damit die Evangelische Stiftung mit ihrem schwarzen, verdrängten Kapitel Anstaltsgeschichte.
Dieses Kapitel ist auch ein Stück Aufarbeitung seines Verdrängens der Tatsachen in einer Zeit, in der seine Hilfe gefordert war. Darum suchte Bach immer wieder Gelegenheiten, um auf die Verbrechen in den Volmarsteiner Anstalten freundlich im Ton, aber ganz gezielt, einzugehen. Das Buch des Spiegel-Journalisten Peter Wensierski „Schläge im Namen des Herrn – Die verdrängte Geschichte der Heimkinder in der Bundesrepublik“, ISBN: 978-3-421-05892-8, DVA Sachbuch (Leseprobe: http://www.randomhouse.de/content/edition/excerpts/19720.pdf) war der Zünder für Bach, nunmehr seine Pensionsjahre auch in die Aufgabe der Aufarbeitung der Anfangsjahre seiner Volmarsteiner Zeit zu investieren. Willkommener Auslöser war die Buchbesprechung in einer evangelischen Wochenzeitschrift mit einer Stellungnahme des damaligen Diakoniepräsidenten Jürgen Gohde. Es ist nicht belegt, aber sicher war Bach über folgende Formulierung entrüstet: „Der Präsident ... schloß aber systematische Verfehlungen aus.“ http://gewalt-im-jhh.de/Wie_alles_begann_-_Presseberic/UK_9_-_040306.jpg
Die Entstehung der „Freien Arbeitsgruppe JHH 2006“ und ihre Zusammensetzung wurde mehrfach dokumentiert. Darum hier nur noch einmal wiederholt: Bach war Anstoßer und Mitbegründer dieser Arbeitsgruppe. Schon frühzeitig erkannte er, daß die Opfer „nicht im eigenen Saft schmoren“ dürfen, sondern Glaubhaftigkeit eher erreicht wird, wenn ehemalige Mitarbeiter mit ins Boot geholt werden können. Die Diakonische Helferin Christel Reuter (heute Flügge) von der Mädchenstation und die damaligen Diakonieschüler Eberhard Flügge und Jochen Twer konnten zur Mitarbeit gewonnen werden. Ihre Schilderungen unterstrichen die zahlreichen Ausführungen der Opfer.
Zunächst war geplant, die Evangelische Stiftung Volmarstein zur Herausgabe eines Buches über die 50er und 60er Jahre im Johanna-Helenen-Heim zu bewegen. Durch die Kenntnisse eines Gruppenmitglieds im Umgang mit Computern und dem Internet reifte jedoch die Erkenntnis, daß ein Buch in kleiner Auflage nicht viel Öffentlichkeit bewirkt. Nach einem längeren Diskussionsprozeß entstand schließlich die Homepage www.gewalt-im-jhh.de, die inzwischen in eine zweite Homepage unter gleicher Internetpräsenz aufgegangen ist. Auch hier kann nur kurz zusammengefaßt werden: Nach Anzahl der Besucher ist die Auflage der Seiten in Büchern umgerechnet weit höher als die bisherigen zwei gedruckten von zusammen 750 Exemplaren.
Bach erkannte aber auch: „Wir sind nicht der Nabel der Welt“, und der Webmaster der Homepage entwickelte mit den anderen Gruppenmitgliedern ein Konzept, nach dem andere Opfergruppen eine Plattform erhalten sollten. So entstanden die Seiten „Blick über den Tellerrand“. Im Zuge der Einrichtung eines „Runden Tisches Heimerziehung“ der Bundesregierung kamen weitere Dokumentationsseiten hinzu, so beispielsweise Ausarbeitungen des evangelischen Pfarrers i. R. Dierk Schäfer aus Bad Boll und des Erziehungswissenschaftlers Prof. Manfred Kappeler, Berlin. Zusammen mit der Freien Arbeitsgruppe zeigten sie auf, wie der Runde Tisch systematisch manipuliert, Fakten unterdrückt und Begriffe vermieden wurden, die zu Entschädigungen Anlaß geben könnten. So ist bekannt, daß ohne glaubhaftes Schuldanerkenntnis lediglich ca. 5.000,- € zur Kompensation der Heimzeit der Betroffenen von Bund, Ländern und Kirchen aufgebracht werden. Die Wirtschaft und Industrie, die teils durch Zwangsarbeit ehemaliger Heimkinder erst groß geworden sind, wurde nie zur Verantwortung gezogen.
Trotz schwerer Krankheit blieb Bach für die Arbeitsgruppe immer wieder aktiv. Im Laufe der Jahre mußte er zunehmend mehr seiner Aktivitäten einschränken. Jochen Twer machte ihm in einem Brief Mut: „Ich denke an die schweren Gedanken, die Dich belasten, daß Du die Problematik der Betroffenen nicht früher und schneller erkannt hast. Stelle Deiner Bedrückung den Mut und die Ausdauer des "Kopfes der AG" gegenüber und gibt den Fortgang des Geschehens in deren Hände. Du hast Großes erreicht und angeschoben (...). Dir verdankt die AG ihr Entstehen. Nun, da sie lernt zu laufen, zu argumentieren, zu kämpfen gönne Dir den Rückzug. Versuche zu entdecken, was Gott und das Leben Dir und Deiner Familie an Schönem und Erfreulichem bereithält.“
Etwa alle zwei Tage rief Bach doch noch den Webmaster an. Er erkundigte sich immer wieder detailliert nach der Internetpräsenz und fand auch gelegentlich kritische Töne. Bachs Politik war immer die der kleinen Schritte; der Webmaster war eher für den harten Umgang mit den Tätern.
Zwei Tage vor seinem Tod rief Bach das letzte Mal an, der Anruf wurde auf dem Anrufbeantworter des Webmasters aufgezeichnet, findet sich versteckt auf der Seite der HP „Ulrich Bach ist von uns gegangen“ und ist nun zum 5. Todestag von seiner Frau Erika Bach, die inzwischen seine Stelle in der Arbeitsgruppe übernommen hat, freigegeben. (http://www.gewalt-im-jhh.de/Ulrich_Bach_ist_von_uns_gegang/bach_ulrich_a...)
Ulrich Bach ist nicht nur in die Geschichte der Diakonie eingegangen. Er hat sich große Verdienste in der Aufarbeitung der Verbrechen in bundesdeutschen Heimen in den zwei Nachkriegsjahrzehnten erworben. Ohne ihn wäre eine solch umfangreiche Dokumentation dieser Zeit, komprimiert auf einer großen Homepage, nicht möglich geworden. Ohne ihn hätte aber auch nicht immer wieder Versöhnung stattgefunden. Nun, nachdem einige Opfer ihr Leid dokumentiert sehen, sind sie in der Lage, ihre erlittenen Erlebnisse zu kompensieren und in Einzelfällen auch den Tätern zu verzeihen. Der Prozeß würde erheblich beschleunigt, wenn die Tätervertreter und die damals in der Heimaufsicht Verantwortlichen sich zu wirklichen Entschädigungsleistungen, die die Bezeichnung verdient haben, durchringen könnten.
18. Mai 2014
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